22
Mrz
17

Über Rituale: Raufsteigen, um runterzukommen.

Vergangener Mittwoch war so ein Tag: Ein langer Termin bei einem Sportkunden am Bodensee.  Abends um halbneun steige ich aus dem Auto aus, schließe die Wohnung auf, stelle die Taschen ab, ziehe den Mantel aus, lasse mich auf das Sofa fallen. Und schon geht er los, der innere Beat!  Ein Orchester aus Stimmen von Kunden, der meines Kollegen, Motorengeräusche, Musik – alles nimmt sich jetzt  akustischen Raum.

Da gibt’s nur eins: Rituale. Jene immer wieder in gleicher Form und Abfolge gepflegten Handlungen mit zentrierender Wirkung. Auch letzten Mittwoch greife ich darauf zurück. Ziehe die Turnschuhe an, werfe eine Jacke über, laufe die Treppe hinunter, springe auf mein Fahrrad und trete in die Pedale Richtung Englischer Garten. Ziel ist, kein Ziel zu haben. Loszulassen. Einfach hinfahren, wo das Fahrrad hinwill. Ich schaue in den dunkelblauen Himmel, auf dichte Bäume, schnaufe die duftende Luft ein, tief, spüre mein Herz pochen,  Als ich so dahin strample, komme ich zufällig an meinem Tennisclub vorbei. Ich steuere zu meinem Lieblingscourt. Steige vom Rad ab, gehe ein paar Schritte –  da steht vor mir ein Schiedsrichterstuhl. Ich klettere hinauf , setze mich hin und siehe da – ein Bild aus meiner Kindheit kommt mir in den Sinn.

Wenn mir alles mit den Hausaufgaben zu viel wurde, habe ich mich erst mal ausgeklinkt: Laufschuhe an, Pulli drüber, Hefte untern Arm – so bin ich hinausgelaufen in den Rosenheimer Käferwald. Blauer Himmel, dichte Bäume, duftende Luft, weicher, federnder Waldboden, ich atme tief durch, mein Herz pocht, ich laufe weiter – und irgendwann hinauf: zu meinem Lieblings-Jägerstand. Zwischen Nadelbaumwipfeln und Birkenzweigen sitze ich dann da oben. Ganz für mich.

Und entdecke diesen verblüffenden Effekt: Bereits aus 5 Metern Höhe verändert sich meine Sicht auf die Welt! Ich höre nicht mehr die Lehrerin schimpfen oder den Bruder feixen. Ich höre nicht mehr das Gras wachsen, sondern lausche den Spechten. Ich schnuppere den Duft des Waldbodens, sehe das Blau des Himmels durch einen Baldachin aus Baumkronen blitzen. In mir breitet sich Ruhe aus, ich finde zurück zu meiner Klarheit. Und im wahrsten Sinne zu meiner Zuversicht. Auf meinen vier Buchstaben sitzend, arbeite ich meine Hausaufgaben ab.

So einfach war das damals mit meinem Ritual auf dem Jägerstand. Und so einfach war es auch letzten Mittwoch auf dem Schiedsrichterstuhl.

Wenn wir uns daran erinnern, wie wir als Kinder waren, werden komplexe Situationen ganz schnell ganz einfach.

Manchmal müsssen wir nur ein paar Stufen hinaufsteigen, um herunterzukommen.